Technologie besser als Ergonomie
Mit dem Ioniq 6 bietet Hyundai eine elektrisch angetriebene Limousine mit Coupécharakter an. Bis auf einige Details ist der Viertürer auch ergonomisch gelungen.
Von Wolfgang Schäffer
Coupécharakter bedeutet häufig auch eingeschränkte Platzverhältnisse. Nicht so beim Hyundai Ioniq 6. Trotz der Höhe von 1,50 Metern, in der Länge sind es 4,86 Meter, in der Breite 1,88 Meter (ohne Außenspiegel), sitzen die Passagiere auf allen Plätzen äußerst bequem.
Viel Platz im Innenraum und gute Sitze
Bein- und Kopffreiheit sind auch im Fond bestens. Das gilt selbst dann, wenn Fahrer oder Beifahrer mit einer Körpergröße von 1,85 Metern sich bequem einrichten. Die elektrisch verstell- und beheizbaren Sitze sind speziell für das vollelektrische Fahrzeug entwickelt und etwa 30 Prozent schmaler als in herkömmlichen Modellen. Der Bequemlichkeit und dem Seitenhalt tut das keinen Abbruch. Auch nach vielen Kilometern Fahrt bleibt der Wohlfühlfaktor erhalten. Die Kopfstützen lassen sich gut an die jeweilige Körpergröße anpassen. Und beim Laden können die Sitze wie in der Business-Klasse im Flugzeug zum Entspannen in eine Art Liegestellung gefahren werden.
Türfächer im Ioniq 6 eindeutig zu klein
Bei der Materialauswahl – Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle – und der Gestaltung haben die Entwickler ein feines Gespür für Hochwertigkeit bewiesen. So sind die Innenseiten der Türen beispielsweise bis auf den Griff frei von jedweden Tasten oder Schaltern. Das schafft Klarheit. Kritik ist allerdings an den Türfächern zu üben. Die sind deutlich zu klein. Einliter-Flaschen aus festem Material lassen sich nicht unterbringen. Bei Kunststoff-Behältnissen, die nicht mehr komplett gefüllt sind, ist Kraft gefordert, um sie mühsam in das Fach zu drücken. Eine Ausbuchtung an einer Stelle wäre leicht machbar gewesen. Platz genug neben den Beinen auf Fahrer- und Beifahrerseite ist jedenfalls vorhanden.
Große Displayeinheit
Dafür haben die Designer bei der Gestaltung des Armaturenträgers alles richtig gemacht. Das 12,3 Zoll große digitale Cockpit geht quasi übergangslos in das ebenso große Infotainment-Display über. Ein separates Bedienfeld für die Klimaautomatik liegt direkt darunter, das Fach fürs induktive Laden des Smartphones schließt sich an. Auf der mit Staufächer ausgestatteten Mittelkonsole haben die Designer griffgünstig die Schalter für die elektrischen Fensterheber untergebracht.
Aufmerksamkeitsassistent nervt
Das unten abgeflachte Multifunktionslenkrad liegt gut in der Hand, die integrierten Wahltasten sind leicht mit dem Daumen zu erreichen. Und es gibt einen manuellen Regler für die Lautstärke. Hier liegt also alles in Sicht- und Reichweite. Nervig indessen ist der Aufmerksamkeitsassistent. Da kann es sein, dass bei wenig Verkehr, gleichmäßigem Tempo und extrem wenigen Lenkbewegungen bereits nach 15 Minuten der erste Hinweis auf eine eventuell notwendige Pause kommt. Abstellen lässt sich der Assistent leider nicht.
Kofferraum leider etwas verbaut
Nicht ohne Kritik ist der Blick auf das 401 Liter große Ladeabteil. Zum einen ist die Öffnung hinter einer niedrigen Ladekante zum Be- und Entladen nicht wirklich groß. Zum anderen weist der Kofferraum unterhalb der Laderaumabdeckung einige Ecken und Kanten auf, so dass beim Beladen einige Lücken bleiben. Sind lediglich die beiden vorderen Plätze besetzt, lassen sich die hinteren Lehnen vorklappen. Dann aber muss eine Stufe überwunden werden. Das Durchschieben von Koffern oder Getränkekisten ist deshalb nicht möglich. Unter der Haube gibt es einen Frank, der 45 Liter fasst.
Gute Verbrauchswerte
Auf hohem Niveau indessen ist die Technologie im Hyundai Ioniq6. Der in diesem Fall von einer 168 kW (229 PS) starken E-Maschine über die Hinterachse angetriebene Wagen mit einer 77,4-kWh-Batterie besticht mit beachtlichen Verbrauchswerten und großer Ladeperformance. Gut, die mehr als 600 Kilometer Reichweite sind vermutlich nur bei extrem ruhiger Fahrweise und in der Stadt mit vielen Rekuperationsphasen zu erreichen. Wir aber haben den Verbrauchstest auf der langen Autobahnstrecke gemacht. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde über eine Gesamtdistanz von mehr als 2.000 Kilometern sind wir auf einen Durchschnittsverbrauch von 20 kWh gekommen.
400 Kilometer absolut realistisch
Beim Start mit voll geladenem Akku sind damit fast 400 Kilometer machbar, ehe der Ioniq 6 wieder an die Ladesäule muss. Und das bei Temperaturen zwischen acht und 16 Grad sowie vielen Schlechtwettertagen mit Regen. Soll heißen, die Sitzheizung war quasi immer eingeschaltet, der Scheibenwischer sehr häufig. Vor diesem Hintergrund sind 20 kWh ein eindrucksvoller Wert. Bei den Stadt- und Überlandfahrten haben wir einen Verbrauch von 15,8 kWh ermittelt – und damit sehr nahe am WLTP-Wert von 14,3 kWh.
Schnelle Ladezeiten
Geladen werden kann der mit 800-Volt-Technologie bestückte Ioniq 6 mit einem Elf-kW-Onboardlader oder an Schnellladestationen. Von zehn auf 100 Prozent dauert es etwas mehr als sieben Stunden, um den großen Akku an der heimischen Wallbox mit neuer Energie zu versorgen. An der Schnellladestation mit 350 kW dauert es laut Hyundai 18 Minuten um den Akku von zehn auf 80 Prozent mit neuer Energie zu versorgen. Damit sollte auch die Angst vor der Langstrecke mit dem E-Auto schwinden.
Rasante Energieaufnahme dank 800-Volt-Technologie
In der Praxis sieht das allerdings oftmals anders aus. Wir haben es tatsächlich einmal geschafft, in 13 Minuten von 27 auf 82 Prozent zu laden. Oftmals aber musste sich der Ioniq 6 den Strom an der Ladesäule mit einem anderen Auto teilen oder die Hypercharger gaben einfach weniger Strom ab, als angegeben. Trotz allem wirkt sich die 800-Volt-Technologie beim Laden positiv aus. Denn sobald 300 oder 350 kW tatsächlich zur Verfügung stehen, geht die Energieaufnahme rasant voran.
Ladestopps per Navigation in der Routenplanung
Bei der Suche nach Ladesäulen ist es nicht unbedingt anzuraten, dem Navigationssystem zu vertrauen. Zwar ist Routenplanung in der Navigation hinsichtlich der Ladestopps ok. Doch werden dann auch Stationen vorgeschlagen, die besetzt sind oder eine geringere Leistung haben. Um jeweils Details zu erfahren, muss die Info per Finger über das Touchscreen angefordert werden. Das lenkt ab.
Breite Spreizung zwischen Sport und Komfort
Wenn’s ansonsten ums Lenken geht, gibt es nichts zu mäkeln. Der Ioniq 6 liegt jederzeit bestens in der Hand, lässt sich leicht und locker um die Ecken bewegen. Zudem folgt die viertürige Limousine auch schnellen Richtungswechseln beispielsweise beim Überholen tadellos. Die Anordnung der Batterien im Unterboden trägt dazu ebenso bei wie die gute Abstimmung des Fahrwerks. Bei aller Sportlichkeit müssen hinsichtlich des Komforts nämlich keine Abstriche gemacht werden.
An der Optik scheiden sich die Geister
An der Optik des Ioniq 6 allerdings scheiden sich die Geister. Daumen hoch oder Daumen runter, dazwischen gibt es nichts. Das gilt vor allem für die in mehreren Ebenen unterteilte Heckansicht. Ein Spoiler mit Winglets und einem feinen Lichtband, das beim Bremsen aufleuchtet, zieht sich ansatzlos aus dem Heckfenster. Ein paar Zentimeter tiefer wölbt sich ein zweiter kleinerer Spoiler aus dem Blech. Direkt darunter haben die Designer eine Lichtleiste über die gesamte Fahrzeugbreite platziert. Das Mittelteil der Leiste klappt mit dem Kofferraumdeckel beim Öffnen nach oben. Die Unterkante der Klappe endet vor einer weiteren scharf gezogenen Linie ehe es dann in den eigentlichen Stoßfänger übergeht.
Optik voll auf Aerodynamik ausgelegt
Das alles trägt ebenso wie die gerundete Heckstruktur und die vertikalen Einfassungen der Leuchten auf beiden Seiten des hinteren Stoßfängers zur Aerodynamik bei. Das gilt auch für die stromlinienförmig gezeichnete Außenhaut mit einer flach gezogenen Frontpartie und dem Dach, das sich in einem spannungsreichen Bogen bis über die Hinterachse erstreckt.
Technologie und Ergonomie überzeugen
Da Technologie und Ergonomie mit kleinen Abstrichen überwiegend Bestnoten erhalten, bleibt letztlich jede Menge Lob für den Hyundai Ioniq6 – zumindest für diejenigen, die bei der Optik mit dem Daumen nach oben zeigen.